SONNE UND BETON – Vom roten Teppich in den Kiez

Deutschland, 2003: Michael Schumacher wird zum sechsten Mal Weltmeister, die erste Staffel DSDS flimmert über die Bildschirme, der fünfte Band der „Harry Potter“-Bücher erscheint und Gerhard Schröder ist Bundeskanzler. Eine seltsam heile Welt, zumindest auf den ersten Blick. „Doch der Schein trügt – schon damals zeigen sich die Risse, die zu den heutigen Verwerfungen führen. Einer dieser Risse verläuft durch die Gropiusstadt.“

Diese Worte stammen von Regisseur David Wnendt, dessen neuer Film SONNE UND BETON uns zwanzig Jahre zurück in die ungleiche Realität zwischen wohligen 2000ern und Leben im Berliner Brennpunkt führt. Wnendt führt fort: „Hier liegen die Wurzeln für Probleme, die in den letzten Jahren in Deutschland immer schlimmer geworden sind. Hier wird schon 2003 eine soziale Frage aufgeworfen, die bis heute nicht beantwortet wurde.“

Darum geht es

SONNE UND BETON, der am 2. März in den deutschen Kinos erscheint, beruht auf dem gleichnamigen Debütroman von Comedian Felix Lobrecht. Auf 220 Seiten beschreibt er aus der Perspektive des 15-jährigen Lukas das Leben von Jugendlichen im Berliner Bezirk Gropiusstadt in einer Zeit, in der Telefone noch Tasten haben. Lukas und seine Freunde Gino und Julius fristen ihren Sommer zwischen Hundescheiße und Dealern im Park. Kein Geld fürs Schwimmbad, kein Glück in der Liebe und nur Stress zu Hause. Sie gehören zu den Verlierern im Kiez.

David Wnendts Verfilmung beginnt mit Lukas (Levy Rico Arcos), der ohne Schülerausweis nicht in die Schule gelassen wird. Als er und seine Freunde stattdessen im Park Gras kaufen wollen, geraten sie zwischen rivalisierende Dealer. Nachdem Lukas ordentlich Prügel kassiert hat, verlangen die Dealer auch noch 500 Euro Schutzgeld. Woher Lukas das Geld nehmen soll, weiß er nicht. Da kommt die Idee seines neuen Klassenkameraden Sanchez (Aaron Maldonado-Morales) gerade recht: Einfach in die Schule einbrechen, die neuen Computer aus dem Lager schleppen und verkaufen. Damit wären nicht nur die Geldsorgen von Lukas dahin. Leider geht der Plan nicht ganz auf.

Vom Roten Teppich in die Gropiusstadt

Rohe Sprache, harte Lektionen, ungeschönte Wahrheiten. Das alles hat David Wnendts neues Werk. „Film muss sich mit der Realität auseinandersetzen“, wie der Regisseur dazu sagt. Er führt fort: „Jemand, der in Gropiusstadt aufwächst und dessen Eltern nicht Akademiker oder deutsch sind, fängt im Leben nicht bei null, sondern bei minus zehn an. Armut ist etwas, das alle Figuren verbindet. Armut verhindert, dass sie ihrer Situation entkommen und aufsteigen. Das ist das tiefere Thema von SONNE UND BETON.“

Authentizität ist dabei ein wichtiges Stichwort für Wnendt und Lobrecht gewesen. Beide legten Wert darauf, dass an Originalschauplätzen in Berlin gedreht wurde, auch wenn die dargestellten Probleme sich auch in anderen Hochhaussiedlungen finden würden. „Vom Dönermann an der Ecke bis zum Bürgermeister“ waren laut Wnendt alle Leute aus Gropiusstadt involviert. Selbst Statist*innen wurden vor Ort besetzt. Es war also klar, dass der Film auch in Berlin seine Premiere feiern sollte.

Am 18. Februar war es dann so weit: Weltpremiere auf der Berlinale. Das wahre Debüt fand jedoch einige Tage später fernab des glamourösen Filmfestivals statt. Im Zuge der Aktion „Berlinale Goes Kiez“ wurde SONNE UND BETON  bereits an Orten wie der JVA Plötzensee gezeigt, für den krönenden Abschluss der Premierenwoche sorgte aber das große Event mitten im Kiez in Gropiusstadt. Außergewöhnlich war auch der Auftritt der SONNE UND BETON-Crew am vergangenen Samstag – Weltpremiere feierte der Film nämlich als feierliches Gala-Screening auf der 73. Berlinale. Im Beisein von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey, die gemeinsam mit Cast und Crew stilecht mit einem historischen Doppeldecker-Bus der Linie 172 am Roten Teppich vorfuhr, wurde der Teppich komplett gestürmt, inklusiver Boombox, aus der der Soundtrack zu SONNE UND BETON für den richtigen Vibe sorgte.

Am 23. Februar ging es dann zurück zu den Wurzeln: SONNE UND BETON genau dort, wo alles angefangen hat. Die Gropius Passagen wurden komplett übernommen und das UCI Luxe zum SONNE UND BETON-Territory – eine Premiere, wie sie wohl nicht nur die Gropiusstadt bisher noch nicht erlebt hat. Neben den den vier Hauptdarstellern Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Rafael Luis Klein-Heßling, Aaron Maldonado-Morales, die im Film ihr Kinodebüt geben, waren natürlich auch Felix Lobrecht und Regisseur David Wnendt dabei. Genauso wie die vielen Komparsen und Gaststars, darunter Luvre47, der u.a. den Titelsong beisteuerte, Franziska Wulf, Lucio101, Chapo (AOB), Almani (AOB), Olexesh, NNOC, Juju und Azzi Memo.. Exklusive Behind The Scenes-Eindrücke von diesem besonderen Abend, gibt es hier zu entdecken (Copyright: Marvin Ruppert).

Aus der Schule auf die Leinwand

David Wnendt konnte Autor Felix Lobrecht vor den Dreharbeiten zu mehreren Lesungen begleiten. Davon auch in einer Schule in Neukölln. Diese Erfahrung war entscheidend für die Umsetzung des Films. Die Schüler*innen waren begeistert. Ein Junge habe erzählt, dass er noch nie ein Buch gelesen hätte, aber „Sonne und Beton“ hätte er verschlungen. So sei es auch einem der jungen Rapper beim Casting gegangen. Neben „Die Raupe Nimmersatt“ sei Lobrechts Buch das einzige, das er jemals gelesen hätte, nachdem es ihm im Jugendarrest gegeben wurde. Laut Wnendt ist SONNE UND BETON für die Jugendlichen „endlich eine Geschichte aus ihrer Erlebenswelt aus ihrer Lebenswirklichkeit. Sie fühlten sich unterhalten und ganz direkt angesprochen und abgeholt. Und sie fanden die Story, die Figuren und die Dialoge sehr realistisch. Bei unserem Film soll das genauso sein.“

Obwohl SONNE UND BETON die 2000er aufleben lässt, finden sich junge Menschen in Brennpunkten auch heute in den gleichen Situationen. Wnendt erklärt dies folgendermaßen: „Die Rezeption des Romans zeigt, dass er hochaktuell ist. Jugendliche von heute können sich mit den Figuren identifizieren, obwohl sie die Zeit gar nicht miterlebt haben, einfach, weil die Probleme sich nicht ändern. Die Geschichte bekommt durch die Verortung etwas Zeitloses.“

SONNE UND BETON erzählt eine Geschichte über gesellschaftliche Zustände, die nach wie vor einer Lösung sozialer Ungerechtigkeit im Weg stehen. Der Film ist weder reine Komödie noch Drama. Felix Lobrecht wollte sein Buch von Produzent Fabian Gasmia und David Wnendt umsetzen lassen, weil er das Gefühl hatte, dass sie genau diese Mischung verstanden hatten. Zum Ergebnis sagt er: „Weder ist er nur stumpf, hart und Ghetto, noch ist er nur silly, funny, lustig, gaga oder dramatisch und traurig. Er sollte verschiedene Emotionen anknipsen, die ganze Bandbreite des Lebens in Gropiusstadt abdecken. […] Das musste alles abgedeckt werden. Und das hat David großartig hingekriegt. Ich bin sehr zufrieden.“

Wenn auch ihr herausfinden wollt, wie zufrieden ihr mit der Verfilmung von SONNE UND BETON seid, müsst ihr nicht mehrwarten: Seit dem 2. März läuft David Wnendts Film im Kino.