17.12.2021
Ausgerechnet bei einem Überfall auf das KaDeWe kommt es zu einer magischen Begegnung zwischen Hedi (Valerie Stoll), Verkäuferin in der Textilabteilung, und Fritzi (Lia von Blarer), der Tochter des KaDeWe-Besitzers Adolf Jandorf. Es ist die große Liebe auf den ersten Blick: Gegen alle gesellschaftlichen und familiären Widerstände beginnen die beiden ungleichen jungen Frauen eine leidenschaftliche Beziehung.
Beinahe zeitlos erscheint der erste Kurzinhalt von ELDORADO KADEWE – JETZT IST UNSERE ZEIT. Die sechsteilige Eventserie wurde von Constantin Television in Zusammenarbeit mit der UFA Fiction für die ARD Degeto und den rbb gedreht. Ab dem 20. Dezember ist sie in der ARD-Mediathek zu sehen, das Erste zeigt alle sechs Folgen am Stück am 27. Dezember ab 20.15 Uhr.
Der Stoff hört sich aktuell an. Tatsächlich aber spielt ELDORADO KADEWE – JETZT IST UNSERE ZEIT im Berlin der 1920er Jahre. Das Jahrzehnt ist unerwartet vielseitig: Weimarer Republik, Kriegsheimkehrer und das berüchtigte Kaufhaus des Westens treffen auf hedonistische Feierkultur, den Nachtclub „Eldorado“ und (für viele überraschend) Emanzipation.
Einflüsse lesbischer Subkultur und jüdischen Lebens prägen das damalige Berlin, in dem es dreimal mehr Frauen als Männer gibt. Diese besondere Phase der deutschen Geschichte wird rhetorisch von den Nachwehen des Ersten Weltkrieges und den Anfängen des Nationalsozialismus dominiert. Doch auch emanzipatorische Strömungen stehen für diese Zeit. Über 400 lesbische Clubs, dutzende Zeitschriften von Frauen, Kunst und Literatur geprägt von der jüdischen Bevölkerung – eine vielseitige Kultur, die sich das Berlin der Gegenwart nur zurückwünschen kann.
ELDORADO KADEWE – JETZT IST UNSERE ZEIT erzählt Themen, mit denen sich Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz seit Langem auseinandersetzt. Anarchisch und jung sollte die Serie werden und die Stimmung im Berlin der 1920er bündeln, ohne das Jahrzehnt zu reproduzieren. Julia von Heinz sagt dazu:
„Ich habe mich gefragt, warum ich, bei aller Krisenhaftigkeit unserer Gegenwart überhaupt in die Vergangenheit schaue und dort nach einem Stoff suche. Die 1920er Jahre haben mich dahingehend interessiert, was sie mit den 2020er Jahren gemeinsam haben: Antisemitismus, LGBTQIA*- und Frauenrechte, Obdachlosigkeit und eine fragile Demokratie beschäftigen uns auch heute. Dies wollte ich visuell zum Ausdruck bringen, indem ich die Zeitebenen verschwimmen lasse, historische Handlung in ein Berlin von heute lege, Außenmotive gegenwärtig erzähle und mit Transitzonen in Innenhöfen und Unterführungen fast unmerklich von einer Zeitzone in die nächste übergehe.“
Regisseurin und Drehbuchautorin Julia von Heinz
Bei den Dreharbeiten in Berlin und Budapest zeigten sich Gemeinsamkeiten der politischen Herausforderungen damals und heute. Themen wie Diversität und Emanzipation rückten auch hinter der Kamera in den Fokus. Eine besondere Erfahrung während des Drehsommers in Ungarn war der Christopher Street Day, den Zehntausende in Budapest auf der Straße zelebrierten. Zeitgleich drehte das Filmteam gerade die Stürmung des „Eldorado“. Die 1920 angesiedelte Serie verbildlicht auch heute die Lebensrealität vieler queerer Menschen. „Diese Aktualität mitzuerleben war schmerzlich, hat uns aber vor allem von der Wichtigkeit dessen, was wir drehen, überzeugt“, wie Julia von Heinz das Erlebnis zusammenfasst.
Nicht nur mit Blick auf Feminismus und Liebe zeigt sich die Produktion von ELDORADO KADEWE – JETZT IST UNSERE ZEIT divers. Ein entscheidender Aspekt in der Handlung um Fritzi und Hedi ist Hedis kleine Schwester Mücke (Neele Buchholz). Mücke ist eine junge Frau mit Down-Syndrom – keine einfache Situation in der Zeit des brutal aufkeimenden Nationalsozialismus. Ohne Beschönigung zeigt die Serie, welchen Zuständen Personen mit Beeinträchtigungen ausgesetzt waren.
Für Julia von Heinz war klar, wie sie die Rolle besetzen wollte. Nur eine Schauspielerin mit Down-Syndrom könne Mückes Emotionen verstehen und entsprechend agieren. Gefunden hat sie Neele Buchholz über Rollenfang. Die Seite hilft Darsteller*innen mit Beeinträchtigung bei der Vermittlung von Rollen. Wolfgang Janßen betreibt die Plattform für Inklusion in Film und Fernsehen ehrenamtlich. Sein Ziel ist es, den Schauspieler*innen eine Bühne zu bieten, die nur schwer in Agenturen unterkommen. Leider ist die Plattform vielen in der Medienlandschaft noch nicht bekannt. Durch Patenschaften Filmschaffender wie Julia von Heinz soll sich dies ändern. Mehr Infos zu Fördermöglichkeiten des Projekts gibt es hier.
Diversität in der deutschen Film- und Medienlandschaft ist regelmäßig Gegenstand von Diskussion und Kritik. Julia von Heinz gilt als Vorreiterin für gendergerechtes Erzählen. Die Regisseurin und Autorin stellte mit ihrem Film „Und morgen die ganze Welt“ den deutschen Oscar-Kandidaten 2021. Ihre Expertise zeigt sich auch im Umgang mit der Handlung von ELDORADO KADEWE – JETZT IST UNSERE ZEIT.
Neben LGBTQIA+ und Menschen mit besonderen Bedürfnissen gibt es viele weitere marginalisierte Gruppen, die medial abgebildet werden müssen. Mehr stereotypfreie Repräsentation von People of Color, Transgender, Frauen und vielen mehr, egal ob vor oder hinter der Kamera, ist überfällig.
Nicht nur Plattformen wie Rollenfang machen deutlich, dass es an Abbildung fehlt. In der Deutschen Filmakademie beschäftigt sich mittlerweile eine Arbeitsgruppe mit diversitätsorientierter Entwicklung und der Eindämmung von Diskriminierung und Rassismus. Constantin Film fördert zum Beispiel das Bündnis Vielfalt im Film und ihre Studie zum Thema Diskriminierung in der deutschen Filmlandschaft. Das Potential ist in diesem Bereich jedoch noch nicht ausgeschöpft. Auf diesen Konsens kann sich die Medienlandschaft wohl einigen.
Zunächst heißt es aber, sich auf ELDORADO KADEWE – JETZT IST UNSERE ZEIT zu freuen. Wie sich die Liebesgeschichte um Fritzi und Hedi entwickeln wird, zeigt sich ab dem 20. Dezember in der ARD-Mediathek. Wer etwas länger warten kann, hat am 27. Dezember ab 20.15 Uhr die Chance auf ein großes Fernseh-Event. Dann wird die Miniserie am Stück in der ARD ausgestrahlt.